«Die Gretchenfrage»

Konjunktur

Kommt es zu einer Rezession bzw. befinden wir uns bereits in einer? Dies ist die Gretchenfrage, welche sich aktuell Anleger:innen stellen. In den USA ist das National Bureau of Economic Research (NBER) für die Ausrufung einer offiziellen Rezession verantwortlich. Getreu dem Motto: «Im Nachhinein ist man immer schlauer», erfolgt die Bestätigung durch das NBER jeweils erst einige Monate nach Beginn der Rezession. Zur Bestimmung von Rezessionsphasen stützt sich das Institut nicht nur auf die reinen BIP-Zahlen, sondern auf eine viel breitere Datenbasis. In der Analyse des NBER werden auch Einkommen, Gewinne der Unternehmen sowie der Zustand des Arbeitsmarktes berücksichtigt. Aus der Sicht des BIP würden sich die USA bereits in einer Rezession befinden, da das Bruttoinlandprodukt in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen geschrumpft ist. Konträr widerspiegelt sich die Lage am Arbeitsmarkt, den Löhnen und den Unternehmensgewinnen. Der Arbeitsmarkt befindet sich in einer sehr guten Verfassung, die Löhne steigen weiter und die Gewinne der Unternehmen sprudeln. Aus diesem Grund ist es eher unwahrscheinlich, dass sich die US-Wirtschaft bereits jetzt in einer Rezession befindet. Jedoch mehren sich die Anzeichen, dass sich dies in näherer Zukunft durchaus ändern könnte. Die meisten Vorlaufindikatoren befinden sich bereits im Kontraktionsbereich und die Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe (Initial Jobless Claims) deuten auf eine mögliche Trendwende am Arbeitsmarkt hin. Seit nun mehr als vier Monaten steigen die Initial Jobless Claims in der Tendenz an. In der Vergangenheit war dies meistens ein Indiz für einen bevorstehenden Beschäftigungsrückgang und einen konjunkturellen Abschwung (siehe Grafik).

Wie in der letzten «Unserer Meinung» bereits veranschaulicht, lag unser Konjunkturindikator noch knapp über dem Rezessionssignal. Ende Juli ist die Marke gefallen, weshalb wir eine mögliche Rezession nicht mehr ausschliessen können.

Aktien

Wie in der vorherigen Grafik zu erkennen ist (rot markiert), impliziert ein Tiefpunkt bei den Initial Jobless Claims oft auch einen zyklischen Höhepunkt des Aktienmarkts. Seit Anfang Jahr haben die Börsen zum Teil deutlich an Wert verloren, konnten sich im Berichtsmonat jedoch weiter von ihren Tiefstständen von Mitte Juni erholen. Ein Grund hierfür sind die mehrheitlich soliden Gewinnzahlen der S&P 500 Unternehmen. Mittlerweile haben mehr als 90% der Unternehmen ihre Ergebnisse rapportiert. Hiervon haben rund 75% ein Gewinnwachstum über den Schätzungen vorgelegt (Durchschnitt der letzten fünf Jahre 77%).

Aufgrund des schwierigen Umfelds mit hoher Inflation wurde von vielen ein schlechteres Zahlenset erwartet.

Für das dritte und vierte Quartal erwarten die Analysten:innen zudem weiteres Gewinnwachstum. Bei den Unternehmensgewinnen zeichnet sich somit aktuell noch keine Rezession ab (rückläufige Gewinne in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen). Dies dürfte kurzfristig stützend für die Aktienmärkte wirken. Bei der Neue Bank Ampel kommt es zu keiner Änderung, sie bleibt auf Gelb (neutral) stehen.

Obligationen

Nachdem in der ersten Jahreshälfte die stark gestiegene Inflation zu erheblichen Verlusten an den Obligationenmärkten geführt hatte, rücken nun wieder vermehrt die Rezessionsängste in den Fokus der Anleger:innen. Die Nachfrage nach 10-jährigen, sicheren Staatsanleihen ist aufgrund der Eintrübung der vorlaufenden Konjunkturdaten deutlich angestiegen. Folglich sind die Renditen gefallen und die Anleihenpreise gestiegen.

Solange der Arbeitsmarkt keine Schwäche zeigt und die Inflation hoch bleibt, ist das Potenzial für weiter fallende Renditen eher gering. Zudem befinden sich die Notenbanken immer noch im Straffungsprozess ihrer Geldpolitik. Wir halten deshalb an unserer Untergewichtung und kürzeren Duration fest.

Währungen

Auch an den Währungsmärkten widerspiegeln sich die aufkeimenden Konjunkturängste der Investoren:innen. Safe Haven, also «sichere» Währungen – vor allem der Schweizer Franken und der US-Dollar – werden derzeit von den Anleger:innen verstärkt nachgefragt. So konnte zum Beispiel der US-Dollar Index (misst die Wertentwicklung des USD gegen die wichtigsten Währungen) seit Anfang Jahr um 11.4% zulegen. Auch unser Währungsindikator zeigt weiterhin einen festen USD gegenüber allen wichtigen Währungen an.

Alternative Anlagen

An den Rohstoffmärkten kam es im Zuge der aufkeimenden Rezessionsängste zum Teil zu deutlichen Kursverlusten. Der Ölpreis hat sich seit Mitte Juni um 27% vergünstigt. Eine Ausnahme bildet Gas, welches auf neue Jahreshöchststände gestiegen ist.

Vor allem der Preis für Gas aus Europa ist regelrecht explodiert.

Die Title Transfer Facility (TTF) ist ein virtueller Handelspunkt im niederländischen Gasnetz, über den Erdgas-Handel für die Niederlande abgewickelt wird. Der Preis für einen TTF Natural Gas Futures Kontrakt liegt aktuell auf einem Allzeithoch von EUR 230. Zum Vergleich, der Preis lag von 2005 bis Anfang 2021 im Durchschnitt bei rund EUR 20. Der Preis hat sich somit in kürzester Zeit mehr als verzehnfacht. Der kommende Winter und Europas hohe Abhängigkeit von Gas spricht kaum für eine Beruhigung der Preise in nächster Zeit.

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